VESSELINA KASAVORA
ÜBER...

Vesselina Kasarova - Mezzosopran - Portrait
Wolfgang Amadeus Mozart

Mit den Anmerkungen, die ich im folgenden anführe, möchte ich versuchen mitzuteilen, was ich aus der Sicht der Interpretin bei Mozarts Musik empfinde.

Mozart war ein musikalischer Maler von Seelenlandschaften. Er kannte vielleicht wie kein anderer vor und nach ihm das Wesen der Seele, und immer widmete er sich ihr, speziell in ihrer Erscheinungsform der Liebe.

Einen gelungenen Versuch, Mozart charakterisieren zu wollen, finde ich jenen von Werner Oehlmann: „Was den Dramatiker Wolfgang Amadeus Mozart (27. Januar 1756 bis 5. Dezember 1791) über alle seine Vorgänger und Nachfolger in der Geschichte der Oper hinaushebt, ist einmal die Kraft und Universalität einer beispiellosen musikalisch-schöpferischen Begabung, welche alle Formen und Ausdrucksmittel der Zeit mühelos beherrschte und mit der souveränen Willkür des Genies über ihre Zeit hinaus weiterentwickelte; es ist überdies die glückliche Unbefangenheit eines klaren und freien Geistes, der sich nicht durch konventionelle Begriffe und Doktrinen fesseln liess, sondern aus allen Umhüllungen und Verkleidungen stets den Kern der absolut gültigen menschlichen Wahrheit herauslöste." (Werner Oehlmann, Oper in vier Jahrhunderten, Seite 262).

Soll ich versuchen, ihn zu charakterisieren, dann würde ich sagen, dass Mozart immer echt ist, seine Musik in Musik transponierte Wahrheiten. Ob er nun Opera seria oder buffa komponiert hat, damit wechselt er nur die Perspektive, sie ist aber nicht ausschlaggebend sondern zufällig. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass in der damaligen Zeit - und wie stark auch später bei Rossini - die Libretti vorgelegt wurden, oft mit einem ausdrücklichen Auftrag verbunden war und damit den Einfluss des Komponisten mindestens begrenzten. Erst später kommt die persönliche Stoffwahl als neue Dimension hinzu.

Die oft angeführte Teilung von Mozarts Opern in eine Gruppe der Opera seria und eine zweite der Opera buffa finde ich willkürlich. Diese Unterscheidung drängt sich als stilistisches Merkmal auf. Und vielleicht spielt auch eine Rolle, dass seine Komödien Le nozze di Figaro, Così fan tutte und Don Giovanni sowie das Singspiel Die Zauberflöte heute die grösste Popularität geniessen und die Werke der Gattung der Opera seria wiederum bis auf Ausnahme von La clemenza di Tito alle zu Beginn komponiert wurden.

Mozart war aber die Oper als Gestaltungsform an und für sich sehr wichtig. Und allen seinen Werken ist als zentrales Merkmal gemeinsam, dass die darin vorkommenden Figuren intensive menschliche Gefühle durchleben.

„Opern wollte Mozart schreiben, darauf weisen seine Messen eindeutig hin. Es ist der einzige aktive ‚berufliche' Wunsch, den er mehrmals und mit wachsendem Nachdruck dokumentiert hat." (Wolfgang Hildesheimer, Mozart, Seite 146).

Ich bin sogar der Ansicht, dass seine Komödien mehr sind als solche. Hinter allen steht ein Ernst, eine nicht zu unterschätzende Dramatik. Dies im Gegensatz zu Rossinis Komödien, wo der Witz hauptsächlich - wenn auch in unnachahmlicher Weise - den Ton angibt. Mozart ist einer der dramatischsten Komponisten überhaupt.

Es ist zur Konvention geworden, im Falle von Le nozze di Figaro, Don Giovanni und Così fan tutte von den Da Ponte-Opern, von einer Trilogie zu sprechen. Diese Bezeichnung ist nicht ungefährlich. Der Umstand, dass Da Ponte zu allen drei Opern die Libretti geschrieben hat, ist nicht der einzige gemeinsame Nenner. Dies hat auch einen gewissen willkürlichen Aspekt, da die Zusammenarbeit sich zufällig ergab, und da es sich immer um Auftragswerke handelte, die Rolle des Librettisten nicht überschätzt werden darf. Die Bezeichnung Trilogie ist in dem Sinne zutreffend, als in allen drei Werken das Verhältnis von Mann und Frau thematisiert ist. Das Besondere wiederum, dass Mozart in ihnen die Position der Frauen verteidigt, als Anwalt der Frauen auftritt. Bezüglich Da Pontes Mitarbeit ist auf eine eigentliche Entwicklung speziell hinzuweisen. In Le Nozze di Figaro übernimmt er ohne einschneidende Änderungen Beaumarchais' Komödie „Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit". Im darauffolgenden Don Giovanni ist es ein literarisch vielfältig bearbeiteter Mythos, den Da Ponte individuell zu einem eigenen Stoff umwandelt, ihn auch zum eigenständigen Autoren macht. Noch weiter geht er bei Così fan tutte, wo nun noch stärker als bei Don Giovanni ein eigenes Werk entsteht. Es findet auch eine abstufende Darstellung von Gewalt gegen Frauen im abstrakten Sinne statt. In Le nozze di Figaro ist es das herrschende Recht, auf das sich der Mann (Graf) bezieht und von welchem diese ausgeht. Bei Don Giovanni ist es die von der Person (Don Giovanni) selber ausgehende Aggressivität, die auch die körperliche Form stark beinhaltet. In Così fan tutte schliesslich zeigt sich die Gewalt in subtilerer Form. Der Angriff auf die Frau erfolgt aus einer Laune (Wette) und bedient sich der Manipulation (Lüge, Täuschung). In allen drei Werken steht auch der Mann am deutlichsten auf der Verliererseite (der Graf und Figaro bei Nozze, Don Giovanni und Don Ottavio bei Don Giovanni, Ferrando und Guglielmo bei Così fan tutte). In seinem Gerechtigkeitsempfinden ist Mozart also konsequent. Wenn er die Klassengesellschaft kritisiert, so setzt er sich für die unteren Stände ein. Wenn es um die Geschlechter geht, schlägt er sich auf die Seite der Schwächeren, auf die der Frauen. Mozart absolutes psychologisches Verständnis war demnach nicht reduziert auf allgemeines menschliches Verhalten, sondern auch um eine sozialpolitische Dimension erweitert.

Ein Merkmal, welches Mozart besonders kennzeichnet, besteht darin, intensivste Dramatik pianissimo gestalten zu können. Mit Volumen liesse sich diese Stellen einfach zeichnen, Mozart aber wählt oft einen innigen, leisen Rahmen dafür, um natürlich dann umso grösseren Effekt zu erzielen, wenn sich das Publikum darauf einlässt.

Mozart hat zur Zeit der Klassik komponiert und bediente sich deren musikalischen Mittel. Natürlich hat er dies mit einer solchen Meisterschaft getan, dass der Zugang zu seiner Musik unheimlich leicht fällt. Dennoch denke ich, dass bei Mozart sehr genau hingehört werden muss, um das vollständige oder wahre Gesicht seiner Musik zu erkennen. Das heisst, auch bei ihm ist es notwendig, sich seiner Musik hinzugeben, um die ganze Wirkung fühlen zu können.

Sören Kirkegaard schreibt „Auch bei Mozart ist es nun der Fall, dass es nur ein Werk von ihm gibt, welches ihn zu einem Klassischen Komponisten und absolut unsterblich macht. Dieses Werk ist Don Juan. Was er ansonsten hervorgebracht hat, kann erheitern und vergnügen, kann unsre Bewunderung erwecken, die Seele bereichern, das Ohr erquicken, das Herz erfreuen; doch man tut ihm und seiner Unsterblichkeit keinen Dienst, wenn man alles in einen Topf wirft und in der Grösse gleichmacht. Der Don Juan ist sein Meisterstück. ..." (Sören Kirkegaard, Die unmittelbaren erotischen Stadien oder sa Musikalisch-Erotische, Seite 11). Ich bin anderer Ansicht und denke, dass bei Mozart gerade in all seinen Werken diese Grösse enthalten ist. Aber mit diesem Zitat wird vielleicht deutlich, dass Mozart uns individuell und unterschiedlich ansprechen kann, das Einzige was zählt, ist, dass er in uns etwas bewirkt.

Dies macht auch Wolfgang Hildesheimer, anhand Goethes Auffassung von Mozart deutlich: „Gewiss hörte Goethe auch das objektiv ‚Schöne', aber offensichtlich hörte er eben mehr: Neben subjektiv Falschem hörte er jene Beherrschung der Gefühlsskala, die es Mozart erlaubt hat, ad libitum über seine Bühnengestalten zu verfügen und somit musikalische Panoramen hinzustellen, die uns die Einsicht in seine Gestalten vermitteln." (Wolfgang Hildesheimer, Mozart, Seite 48f.).

An anderer Stelle schreibt Hildesheimer zu dem verbreiteten Missverständnis von Mozart und seinen Werken, „sie hörten den Zauber, eben jene scheinbar unangestrengte Leichtigkeit, die alle Tragik zu überspielen scheint und sie doch im zart anklingenden Gestus der Versöhnung enthält. Ihnen entging die ungeheuerliche Skala jener Eigenschaften, die dem Analysierbaren, dem interpretatorisch zu Bewältigenden, jenes Element voranstellt, das für uns das Geheimnis der künstlerischen Überleistung ist. ... Mozarts Deuter können den Wert seines Werkes nur umschreiben; an den Kern, die Emotionen auslösende Botschaft, gelangt niemand." (Wolfgang Hildesheimer, Mozart, Seite 50). Ich verstehe dies in der Richtung, dass es Mozart um die Schilderung von Gefühlen ging, die nicht einfach wiedergegeben werden sollen, sondern die gelebt werden müssen, damit sie beim Publikum wiederum Gefühl erzeugen können. Und darin liegt wohl ein wichtiger Aspekt der musikalischen Meisterschaft Mozarts: die Fähigkeit, sein Publikum in Bann ziehen zu können und etwas in ihm auslösen zu können. Mozart ist also auch in diesem Moment kreativ.

„Kein anderer Komponist nahm als unerbittlicher Kritiker seiner Gegenwart so umfassend Bezug zur Tradition der barocken Oper und griff so visionär auf das Musikdrama des neunzehnten Jahrhunderts voraus. Im Unterschied zum gängigen Bild des göttlichen Musensohnes war Mozart ein politisch vielfältig interessierter und engagierter Künstler, der im Spannungsfeld von Revolution und Restauration eine faszinierende Aufarbeitung von Utopie und Krise der Aufklärung schuf. In ihrer Brisanz als Lebens- und Gesellschaftsentwürfe sind die Opern Mozarts stets neu, in vielen Details überhaupt erst zu entdecken. Es gilt, sie als Spiegelbild unserer eigenen Wirklichkeit zu begreifen." (Wolfgang Willaschek, Mozart-Theater, Vom Idomeneo bis zur Zauberflöte, Seite VII).

Politik in dem umfassenden Sinne, wie wir sie heute erleben, gab es damals ja noch nicht. Mozart war deshalb vor allem ein gesellschafts- oder realpolitisch denkender Mensch. Seine Optik wurde dabei bestimmt von einem natürlichen und durchaus objektiven Gerechtigkeitsempfinden. Und so waren es als zu Recht erkannte Missstände, die er thematisierte und angriff. Als musikalischer Schöpfer unterwarf er sich nicht den gültigen Konventionen und ähnlich war sein Bild der Realität nicht beeinflusst von solchen Gesetzen.

„Mozarts Opern benötigen keine oberlehrerhafte Vermittlung. Wenn Menschen offen für sie sind, begreifen sie im Höreindruck, dass dieses Theater ihre eigene Lebenserfahrung wiederspiegelt." (Wolfgang Willaschek, Mozart-Theater, Vom Idomeneo bis zur Zauberflöte, Seite IX).

La clemenza di Tito wiederum ist ein absolut zeitloses Drama, in welchem die Gefühle eine derart intensive Gestalt annehmen, dass ich nicht nachvollziehen kann, dass diese Oper ein relatives Schattendasein gegenüber den Da Ponte-Opern führt.

Dass Mozart nicht in Vergessenheit geraten ist, obwohl er zu Lebzeiten sich nicht wirklich durchsetzen konnte, hat verschiedene Gründe.

Der Grund für seine stete Popularität liegt darin, dass er in seinem Kern jenseits eines Zeitbegriffes stand, gewissermassen zeitlos, da grundsätzlich, dachte und fühlte.

Schon der „jugendliche" Mozart weist ein unglaubliches psychologisches Gespür aus, dass sich später, um die politischen und gesellschaftlichen Erfahrungen erweitert, ihn letztlich zu einem Philosophen machen, der sich des Mediums Musik vermittelt.

Seine Figuren, seien sie durch den Kontext noch so sehr in bestimmte Schemen eingebunden, ist gemein, dass sie alle in ihrem Kern eine gewisse Wahrhaftigkeit haben. Sie bleiben dennoch echte Menschen, deren Fühlen und Handeln auch heute noch nachvollzogen und verstanden werden können.

Damit ist auch verständlich, dass bei Mozart immer die Gefahr besteht, gewisse Aspekte zu übersehen, und ihn damit sowohl zu unterschätzen oder gar misszuverstehen.

So ist Mozart nicht allein genialer Musiker und profunder Menschenkenner, Mozart ist ebenfalls Gesellschaftskritiker und Politiker, und in letzterem genauso ernst zu nehmen.

Denn Mozart kommt eigentlich Beethoven im Bestreben, mit der Musik etwas bewirken zu wollen zuvor.

Jeder Musiker weist bei Mozart auf die Einfachheit der Melodien hin, seine Partituren erwecken den Eindruck, alles sei leicht umzusetzen. Dabei ist er einer der schwierigsten Komponisten überhaupt. Und darin liegt ein weiterer Beweis für sein Genie.

Vesselina Kasarova / 2000

Literatur:

Born, Gunthard: Mozarts Musiksprache. Schlüssel zu Leben und Werk. München, 1989

Einstein, Alfred: Mozart. Sein Charakter - Sein Werk. Frankfurt am Main, 1968

Harnoncourt, Nikolaus: Der musikalische Dialog. Gedanken zu Monteverdi, Bach und Mozart. Salzburg und Wien, 1984

Hildesheimer, Wolfgang: Mozart. Frankfurt am Main, 1977

Kierkegaard, Sören: Die unmittelbaren erotischen Stadien oder das Musikalisch-Erotische. Hamburg, 1999

Nagel, Ivan: Autonomie und Gnade. Über Mozarts Opern. München/Wien, 1988

Oehlmann, Werner: Oper in vier Jahrhunderten. Stuttgart/Zürich, 1984

Paumgartner, Bernhard: Mozart. Leben und Werk. München, 1991

Rosen, Charles (1976): Der klassische Stil. Haydn, Mozart, Beethoven. Kassel, 1999

Sadie, Stanley: Mozart. Stuttgart, 1994

Stoffels, Ludwig: Drama und Abschied. Mozart - die Musik der Wiener Jahre. Zürich und Mainz, 1998

Willaschek, Wolfgang (1995): Mozart-Theater. Vom Idomeneo bis zur Zauberflöte. Stuttgart, 1996

Carmen – Oper von Georges Bizet

Frauenfiguren und -schicksale hervorbrachte. Carmen ist natürlich die prominenteste und wohl auch die am meisten missverstandene unter ihnen.

Den Schlüssel zum Verständnis dieser Oper verdanke ich dem grossen französischen Musikkritiker André Tuboef. Er erklärte mir, weshalb die Oper bei ihrer Uraufführung ein Misserfolg war: Die Zigeunerin Carmen und der Soldat Don José entstammten der untersten sozialen Schicht. Dies war ein Affront gegenüber dem Publikum, das konventionell als Protagonisten der Handlung noch immer Vertreter der oberen Schicht (Könige, Personen der Mythologie und der Historie) erwarteten. Bizets Librettisten Henri Meilhac und Ludovic Halévy hatten aber aus Prosper Mérimées Vorlage ein neues Werk geschaffen. Man muss sich bewusst sein, dass Ort (Spanien) und Personen (normale Menschen) nur Mittel zum Zweck waren: Anders wäre es nicht möglich gewesen, diese in ihrem Kern ungemein sozialkritische und realistische (brutale) Geschichte auf die Bühne zu bringen.

Carmen ist alles andere als der männerverschlingende Vamp, auf den sie meist reduziert wird: Carmen ist eine Revolutionärin, die gegen die ihr von der Gesellschaft zugewiesenen Rolle - als Frau wie auch als Vertreterin der Unterschicht - rebelliert. Zum einen strebt sie nach wirklicher Freiheit und erkennt schnell, dass sie diese nur ausserhalb der Gesellschaft finden kann. Zum anderen ist sie gleichzeitig auch Idealistin, sie sucht die echte, bedingungslose und totale Liebe. Für sie steht die Liebe als Prinzip über allem, und die Liebe ist auch das Einzige, was ihr ihre Existenz bieten kann. Als starke, lebenshungrige und selbstbewusste Frau stellt Carmen nicht nur den Gegenpart zu der von Micaëla verkörperten, traditionellen Frauenrolle dar. Carmen fällt völlig aus dem Rahmen der normalen Rollenklischees, denn sie nimmt Rechte und ein Benehmen für sich in Anspruch, die sonst nur Männern vorbehalten sind: sie lässt sich nicht verführen, sie entscheidet, wenn sie erobern (!) will; sie flirtet mit den Männern, wie diese es für sich als ganz selbstverständlich erachten; es ist nicht sie, die aufgefordert wird, alles aufzugeben und zu fliehen, sie bittet Don José, mitzukommen und ein neues Leben zu beginnen; Carmen wird nicht verlassen, sie ist es, die die Beziehung beendet; sie weicht nicht aus, sondern stellt sich der Konfrontation; sie lässt nicht über sich bestimmen, Carmen ist selbstbestimmt. Ihr Pendant ist mehr Mozarts Don Giovanni als irgendeine andere Frauenrolle der Opernliteratur.

Carmen hat (wie auch die Fabrikarbeiterinnen bei ihrem Auftritt singen) die Doppelmoral der Männer durchschaut. Die Habanera ist nicht einfach ein Lied über die Liebe im allgemeinen, es ist ein Lied über die Männer und an diese gerichtet! Sie wird abgewertet, als Hexe und Dämonin tituliert, dabei ist sie es paradoxerweise, die Moral beweist, nicht Don José. Carmen entscheidet sich für die Liebe, sie bleibt treu, als dann aber klar ist, dass ihre Liebe keine Zukunft hat, bricht sie mit Don José und erst dann wendet sie sich Escamillo zu. Don José hingegen lässt Micaëla links liegen; er wird nur durch das Erscheinen von Zuniga daran gehindert, zurück zu seiner Truppe zu gehen; später folgt er auch Micaëla zurück zu seiner Mutter und als ihm Carmen zum letzten (dritten!) Mal zu verstehen gibt, dass es vorbei sei (Don José liebt sie nicht, er will sie besitzen), bringt er sie um. Das Scheitern Don Josés kostet ihr das Leben, Carmen ist das Opfer einer männlich dominierten Gesellschaft und wird damit zu einer Heldin im „klassischen" Sinne.

Die Rolle der Carmen ist eine der wichtigsten im Repertoire eines Mezzosoprans. Auch mir wurde sie schon zu Beginn meiner Karriere angeboten. Stimmlich gesehen ist sie eigentlich nicht schwierig. Die besondere Herausforderung besteht darin, dass man die Persönlichkeit Carmens ausstrahlen muss, und sie verlangt nach einer sehr subtilen Darstellung sowohl in der Musik als auch im Spiel.

Vesselina Kasarova / 29. Mai 2008

(Dieser Text wurde in leicht veränderter Version im Magazin des Opernhauses Zürich abgedruckt.)

La Favorite – Oper von Gaetano Donizetti

Rollenspektrum der "Léonor de Guzman"

Auffallend für mich ist der Stil, den Donizetti für La Favorite gewählt hat. Selbstverständlich weist auch diese Oper ganz in der Art des Belcanto einen unglaublichen Reichtum an wunderschönen Melodien auf. Anders aber als etwa in Lucia di Lammermoor oder Anna Bolena ist seine Musik hier schlichter, natürlicher und direkter. Diese musikalische Reduktion steht dabei in vollkommenem Einklang mit einem Drama, das durch einfache, prägnante Konstellationen und sich daraus ergebende Konflikte gekennzeichnet ist und sich ausgesprochen kompakt unentwegt zur Tragödie zuspitzt. Zum anderen handelt es sich um eine eigentliche Ensembleoper, denn die musikalische Umsetzung macht das Ensemble zum dominierenden Hauptakteur und spricht damit den einzelnen Rollen in ihren Solo-Szenen nur wenig Raum zu. Entsprechend wird auch Léonors grosse Arie im dritten Akt ("O mon Fernand") knapp, das heisst, reduziert auf das Wesentliche gehalten: auf einen schlichten, gefühlsvollen ersten und einen entschlossenen, kämpferischen zweiten Teil. In Bezug auf Léonor wiederum könnte man auf den ersten Blick meinen, dass es sich bei ihr lediglich um eine der typischen Frauenrollen des Belacantos handelt: jener des unschuldigen, vom Schicksal verfolgten Opfers. Natürlich bestimmt dieser Aspekt ihren Charakter, interessanterweise weicht aber ihr selbstbestimmtes und selbstloses Verhalten im Verlauf der Tragödie davon ab und weist sie verglichen mit den anderen Partien eher als eigentliche - klassische - Heldin der Oper aus. Sie selbst stammt aus dem Adel und handelt stets nach dessen Idealen: zur Geliebten des Königs ist sie nur geworden, weil dieser ihr die Heirat versprochen hatte; als sie in der Begegnung mit Fernand echte Liebe erfährt, verzichtet sie auf ihr persönliches Glück und weist ihn zurück, da ihre Vergangenheit eine solche Verbindung verbietet; nachdem sich der König endlich - wenn auch zu spät - zu ihr bekennen will, steht sie zu ihren Gefühlen und eröffnet ihm sogar, einen anderen zu lieben und als es dann scheint, dass ihre Beziehung zu Fernand doch offiziell ermöglicht werden könnte, ist sie bereit, Fernand auch ihre frühere Rolle am Hof zu offenbaren (was aber das Schicksal verhindert); Fernand hatte ihr bedingungslose Liebe geschworen, dennoch nimmt sie am Schluss die ganze Schuld auf sich und ruht (!) nicht, bevor sie ihm alles erklären und ihn um Vergebung bitten konnte. Sie wird gewissermassen genau zu dem Engel, als welchen sie Fernand schon zu Beginn bezeichnet hatte.

22. Februar 2006 / Vesselina Kasarova

Dieser Artikel erschien im Magazin Nr. 8 Spielzeit 2005/2006 des Opernhauses Züric

Don Quichotte – Oper von Jules Massenet

Ein Charakteristikum der Französischen Oper, oder besser, der französischen Komponisten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist, dass sie besonders natürliche Frauenfiguren von "Mozartscher" Zeitlosigkeit geschaffen haben. Obwohl viele dieser Rollen auf literarischen Vorlagen beruhen wie zum Beispiel Berlioz' Marguérite (Faust), Massenets Charlotte (Werther) und Dulcinée (El ingenioso Don Quchiotte de la Mancha) etc., erscheinen sie in den jeweiligen Opern als lebensnahe, moderne Frauen.

Während Dulcinea in Cervantes' Original nur in Don Quichottes Phantasie existiert, lässt Massenet Don Quichotte mit einer realen Dulcinée zusammentreffen. Und es ist diese Begegnung, die Konfrontation Don Quichottes mit der Wirklichkeit, die ihm später seine Illusionen und damit seinen Lebensantrieb rauben wird. Denn symbolisch verkörpert Dulcinée einen Gegenpol zu Don Quichotte: die ungestüme, noch unerfahrene und damit auch blinde Jugend. Don Quichotte wiederum steht für das Alter, das, vor dem Tod fliehend, sich die Jugend zurücksehnt. Während aber Don Quichotte nicht zur Jugend zurückfinden kann, macht Dulcinée eine Wandlung durch, weg von der Jugend und der für sie typischen Verliebtheit zu Reife und der damit erst möglichen wahren Liebe. Entsprechend verlieren ihre zahlreichen Bewunderer ihren Reiz, aber die eigentliche Erkenntnis ist auch für sie schmerzhaft und mit Verlust verbunden: sie muss Don Quichotte abweisen. Dabei gilt ihre echte, offenbarte Zuneigung in Umkehrung der Rollenverhältnisse zu Cervantes' Original einer Rittergestalt ihrer Phantasie, für den der wirkliche Don Quichotte lediglich das Sprachrohr abgibt.

Somit handelt es sich bei der Dulcinée um einen sehr komplexen Charakter, der leider oft und dazu noch irrtümlicherweise auf die Rolle einer Kurtisanen reduziert wird. Ein genaues Studium des Librettos zeigt nämlich auf, dass letztere Sichtweise zu trivial ist. Don Quichotte und Sancho treffen nicht zufällig während einer Irrfahrt auf eine Frau, die für Dulcinée gehalten werden könnte, sondern kommen an ihrem Ziel, der Heimatstadt der "richtigen" Dulcinée an, die von Sancho - ohne Ironie (!) - als "noble dame" bezeichnet wird. Einer von Dulcinées Bewunderer, Juan, fordert Don Quichotte zum Duell auf, als dieser ihr - nur - ein Ständchen vorbringen will. Die Oper spielt zu Beginn vor dem Haus der Dulcinée (um "seigneuriale" erweitert ist "demeure" ein Synonym für "château"), der vierte Akt in dessen Innenhof ("patio"), später erscheinen dort auch Diener ("valets"). Dies alles lässt eher darauf schliessen, dass Massenet in seiner Oper die "fiktive" Romanfigur Cervantes', eine Edeldame, zum Leben erweckt. Auch ihr Auftrittslied, in welchem sie der Verbindung aus Liebe einer konventionellen Heirat mit einem Adligen den Vorzug gibt, impliziert, dass sie zur Oberschicht gehört, denn nur so wäre eine solche Heirat standesgemäss und käme für sie überhaupt in Betracht. Andernfalls aber hätte sie auf die in der damaligen, frauenfeindlichen Epoche typische Verführung von Mädchen aus dem einfachen Volk durch Adlige mittels Heiratsversprechen - so wie Mozarts Don Giovanni mit Zerlina widerfahren ist - hingewiesen.

Dulcinée ist also - nicht anders als Bizets Carmen, und als deren Schwester wird sie oft auch bezeichnet - lediglich eine junge, lebenshungrige und selbstbestimmte Frau, was Ihre Schönheit, respektive ihre Attraktivität auf die Männer noch zusätzlich erhöht. Es überrascht dann auch nicht, dass beide, um ihre verführerische Sinnlichkeit zu unterstreichen, für Mezzosopran geschrieben worden sind. Und Dulcinées Auftrittslied "Quand la femme a vingt ans" kann als Pendant zu Carmens "L'amour est un oiseau rebelle" angesehen werden. Auch in ihrem Schicksal weisen sie Parallelen auf, beide entziehen sich dem Joch der Ehe (oder Kirche) und jenem des Mannes: Carmen trennt sich von Don José, wofür sie mit ihrem eigenen Tod bezahlen muss; Dulcinée weist erst ihre Verehrer ab und dann Don Quichottes - absurden - Heiratsantrag, wodurch dieser erstmals an der Wirklichkeit scheitern wird (hinzukommt dann noch der direkte Spott der Leute, respektive der Öffentlichkeit; ein weiterer Todesstoss). Beide Rollen haben letztlich nichts Billiges an sich, sondern müssen durch subtiles Spiel und differenzierte musikalische Gestaltung verkörpert werden, gilt es doch erst Lebensfreude und Sinnlichkeit auszustrahlen, dann zu einer Melancholie und Trauer zu finden.

Vesselina Kasarova / 13. Mai 2003

Werther – Oper von Jules Massenet

Jules Massenets Vertonung von Goethes Werther ist ein deutliches Beispiele dafür, wie entscheidend es ist, dass immer das Werk des Komponisten im Vordergrund zu stehen hat: Was hat er vertont, und Wie hat er es musikalisch umgesetzt.

Meist weist schon das Libretto Änderungen gegenüber der Vorlage auf, diese können minimal, aber auch gewichtig sein.

Das Prinzipielle aber ist, dass immer etwas Neues entsteht, wenn Oper, Konzert oder Lied von einer Vorlage ausgehen. Und dieses Neue äussert sich - darin liegt ja auch der Sinn, es musikalisch zu gestalten - primär in der Musik. Die grundlegende Analyse muss daher auf der Partitur basieren. Ist das Gewicht verschoben, kann es sogar zu gefährlichen Fehlinterpretationen kommen.

Das dem Lied zugrundeliegende Gedicht eines Autors beispielsweise hat als solches einen eigenständigen Wert. In der musikalischen Transposition zum Lied aber wird es zu einer Aussage des Komponisten. Indem dieser es musikalisch umsetzt, fliessen dessen Empfindungen und Interpretationen mit ein. Der Schlüssel zum Verständnis liegt damit nicht mehr im ursprünglichen Text allein, sondern - vor allem - im Klavierauszug.

Genauso verhält es sich mit den Libretti von Opern. Unabhängig davon, welchen Einfluss der Komponist auf das Libretto nahm oder nehmen konnte, in seinem Werk ist die Musik das Mittel der Kommunikation. Was musikalisch vermittelt wird, und wie etwas musikalisch gezeichnet wird, dies teilt uns der Komponist in seiner Partitur mit.

Wie erwähnt ist Massenets Werther ein deutliches Beispiel hierfür. Wobei bei Massenet die Charakterisierung der Figuren und die Zeichnung ihrer Konstellationen und damit der Fortlauf der Handlung derart stark von Goethes Romanvorlage abweichen, dass man eigentlich von einem anderen Stück sprechen müsste.

Werthers Liebe ist unbedingt, bei Goethe wie bei Werther. Sie ist damit aber auch aggressiv, da sie sich über alles stellt. Bei Massenet kommt hinzu, dass Werthers Selbstmord sich auch gegen Charlotte richtet. Damit kommt ein Element hinzu, dass Goethe so direkt nicht anspricht, die männliche Aggression gegen die Frau. Carmen trifft eine Entscheidung, eine Entscheidung gegen Don José, und wird von ihm ermordet. Charlotte kann keine Entscheidung treffen, und Werther weist ihr mit seinem Selbstmord eine Schuld zu, für die sie nichts kann. In beiden Fällen richtet sich Gewalt gegen die Frau.

Während Massenets Werther erst im Nachhinein von der Bindung Charlottes erfährt, ist es bei Goethe genau umgekehrt:

(Reclam, Seite 21, Zeilen 22 - Ende; Seite 22, Zeile 1 - 3)

Ich bot einem hiesigen guten, schönen, übrigens unbedeutenden Mädchen die Hand, und es wurde ausgemacht, dass ich eine Kutsche nehmen, mit meiner Tänzerin und ihrer Base nach dem Orte der Lustbarkeit hinausfahren, und auf dem Wege Charlotten S.. mitnehmen sollte. - Sie werden ein schönes Frauenzimmer kennen lernen, sagte meine Gesellschafterin, da wir durch den weiten ausgehauenen Wald nach dem Jagdhause fuhren. - Nehmen Sie sich in acht, versetzte die Base, dass Sie sich nicht verlieben! - Wieso? sagte ich. - Sie ist schon vergeben, antwortete jene, an einen sehr braven Mann, der weggereist ist, seine Sachen in Ordnung zu bringen, weil sein Vater gestorben ist, und sich um eine ansehnliche Versorgung zu bewerben. - Die Nachricht war mir ziemlich gleichgültig.


Massenets Charlotte spricht nie gegenüber Albert direkt von Liebe. Bei Goethe ist diese Beziehung eine fundamental andere:

(Seite 44, Zeile 3 - 7)

Und doch - wenn sie von ihrem Bräutigam spricht, mit solcher Wärme, solcher Liebe von ihm spricht - da ist mir's wie einem, der aller seiner Ehren und Würden entsetzt und dem der Degen genommen wird.

Bei Goethe geht die Trennung von Werther aus, während bei Massenet Charlotte diesen Vorschlag macht.

(Seite 124, Zeile 11 - 21)

Nein, Lotte, rief er aus: ich werde Sie nicht wieder sehen! - Warum das? versetzte sie, Werther, Sie können, Sie müssen uns wieder sehen, nur mässigen Sie sich. O, warum mussten Sie mit dieser Heftigkeit, dieser unbezwinglich haftenden Leidenschaft für alles, was sie einmal anfassen, geboren werden! Ich bitte Sie, fuhr sie fort, indem sie ihn bei der Hand nahm, mässigen Sie sich! Ihr Geist, Ihre Wissenschaften, Ihre Talente, was bieten die Ihnen für mannigfaltige Ergötzungen dar? Sei'n Sie ein Mann! wenden Sie diese traurige Anhänglichkeit von einem Geschöpf, das nichts tun kann, als Sie bedauern. -


Bei Goethe erkennt Charlotte einen wichtigen Aspekt der unglücklichen Liebe von Werther:

(Seite 124, Zeile 26 - 28)

Ich fürchte, ich fürchte, es ist nur die Unmöglichkeit, mich zu besitzen, die Ihnen diesen Wunsch so reizend macht.

Charlotte macht sowohl bei Goethe als auch bei Massent Werther ein realistisches Angebot, wie die Beziehung aufrecht erhalten werden könnte:

(Seite 125, Zeile 7 - 9)

Suchen Sie, finden Sie einen werten Gegenstand Ihrer Liebe, und kehren Sie zurück und lassen Sie uns zusammen die Seligkeit einer wahren Freundschaft geniessen.

Der Aspekt, mit dem Tod Albert und Charlotte zu helfen, fehlt bei Massenet.

(Seite 147, Zeile 21 - 26)

„Ich habe dir übel gelohnt, Albert, und du vergibst mir. Ich habe den Frieden deines Hauses gestört, ich habe Misstrauen zwischen euch gebracht. Lebe wohl! ich will es enden. O dass ihr glücklich wäret durch meinen Tod! Albert! Albert! mache den Engel glücklich! Und so wohne Gottes Segen über dir!"

Vesselina Kasarova / 1996

La clemenza di Tito – Oper von Wolfgang Amadeus Mozart

Auch wenn Mozarts letzte Oper in den vergangenen zwei Jahrzehnten endlich die ihr gebührende Anerkennung erfahren hat, so steht die "Krönungsoper" La clemenza di Tito noch immer im Schatten der drei Da Ponte-Opern, im Schatten der Entführung und der Zauberflöte. Zu Unrecht liess man sich in der Vergangenheit allein von äusseren Umständen im Urteil fehlleiten: lediglich ein in kurzer Zeit komponiertes "Auftragswerk", zudem in der - schon in der Entstehungszeit dieses Werkes als veraltet und überholt geltenden - Gattungsform der Opera seria.

Natürlich mögen Handlung und musikalische Struktur dieser Werkes den Konventionen der Opera seria folgen, in seinem wahren Kern ist La clemenza di Tito aber ein verdichtetes, zeitloses Kammerspiel, fokussiert auf die psychologischen Konflikte der beteiligten Personen. Metastasios Libretto als vorgegebene Vorlage muss Mozart sehr willkommen gewesen sein: ein Meisterwerk, das durch Mozarts und Mazzolàs Bearbeitung in seiner Genialität noch akzentuiert wurde und nicht zuletzt die ideale Basis bot für Mozarts unerreichte Begabung, Gefühle musikalisch umzusetzen.

Deshalb sind Mozarts Figuren ja auch die musikalisch subtilsten und schwierigsten überhaupt. Und dies gilt insbesondere für die Rolle des Sesto, der hier mehr verkörpert als eine der typischen, in Konflikte verstrickten Seria-Figuren: Mozarts Sesto ist letztlich ein Sinnbild des "guten Menschen".

Wichtigstes Wesensmerkmal seines Charakters und Nährboden für das Drama ist seine noch ungefestigte Identität. Für andere vermittelnd, von anderen bestimmt und getrieben: alle Beziehungskonstellation laufen durch ihn und machen ihn zum eigentlichen Zentrum der Oper. Ein Hin- und Hergerissener, der sprichwörtlich zerrissen wird, wenn am Schluss der Oper die verschiedenen Beziehungen ein Ende finden. Wie bei Idomeneo ist es nicht der eigentliche Titelheld, der bei der für die Opera seria klassischen Konfrontation und Überwindung eines Konfliktes eine Entwicklung durchläuft, sondern Sesto und Vitellia (Idamante und Elettra respektive).

Es ist unglaublich, wie exakt Mozart dabei die Psychologie seines Sesto musikalisch nachgezeichnet hat. "Parto, ma tu ben mio" ist mehr als eine phantastische - und für die Opera seria unverzichtbare - Bravourarie, hier wird allein durch die Musik das Gespaltene seines Charakters offenbart. Sesto ist auch Ausgangs- und Mittelpunkt im ersten Kulminationspunkt der Oper gegen Ende des ersten Aktes. Im Recitativo accompagnato Nr. 11 brennt das Kapitol, wofür Mozart keine naturalistische Wiedergabe komponiert hat. Musikalisch lässt Mozart vielmehr Sesto in sich selber brennen. Und das anschliessende wunderschöne, den ersten Akt beschliessende Quintett, steht nicht nur für das Entsetzen und die Trauer über den - vermeintlichen - Tod des "guten Herrschers" Titus, sondern auch für den gleichzeitigen - echten - Verlust des "guten Menschen" Sesto. Bei seinem Rondo "Deh, per questo istante solo" wiederum ist auffallend, mit wie viel Liebe Mozart die Musik gestaltet hat. Dieses Rondo ist auch ein typisches Beispiel für Mozarts dramatische Meisterschaft: für die stärksten und schmerzvollsten Momente nimmt er die Musik zurück, wählt Ruhe und Stille, was den Effekt nur noch erhöht. Dafür steht auch das vorangegangene, magische Terzett Nr. 18 "Quello di Tito è il volto".

La clemenza di Tito ist nach meiner Meinung kein Schritt zurück, sondern ein Aufbruch zu einem moderneren Ansatz. Und nur durch Mozarts frühen Tod wurde La clemenza di Tito zu einem krönenden (!) Abschluss eines unübertroffenen Schaffens.

Vesselina Kasarova / 8. Februar 2005

La Cenerentola – Oper von Gioacchino Rossini

„Se tu respiri, ti scanno qui.” – “If you so much as breathe, I’ll croak you on the spot.”
(Don Magnifico towards Angelina, Act I, No. 5, Quintetto)

Everybody knows the fairy-tale, the story of La Cenerentola, everybody knows Rossini. But Rossini’s Cenerentola is in some important aspects different. Like in his other most popular operas, The Barber of Seville and L’Italiana in Algeri, we experience in libretto and music his typical humour and joyous temperament. But still, here in La Cenerentola the core of the opera is serious, and the title role, Angelina, is in a surprisingly strict way excluded from all the fun that is happening all around her. So it is crucial to be aware that Angelina’s character is a very individual one and totally different from the ones of Rosina and Isabella.

Isabella for example, probably the first “Lara Croft”, is self-confident and sovereign, even the end of the world wouldn’t really trouble her, or if so, then only for a short moment. Rosina is close to Isabella, she is principally cheerful and sly. Angelina is quite the opposite of Isabella and there are only two similarities between her and Rosina. Both fall in love without knowing (respectively caring about) the true identity of their lovers. And both want to escape from their initial environment. But whereas Rosina is actively undertaking everything in order to become free, Angelina has accepted her destiny and dares only to dream of another world. Whereas Rosina can become quite “tricky”, Angelina only twice is showing some very modest opposition: at the beginning (Act I, No. 1), when she doesn’t stop her song immediately and later (Act I, No. 6), when she is begging for allowance to go to the ball. The true Rosina on the contrary wouldn’t have argued long to leave for the ball and would have found a way by herself. Isabella not at a party? Impossible! She certainly even would have managed the others to serve her!

As the plot and the characters of the other roles are following exceptionally the buffo scheme, it certainly isn’t easy to accept that Angelina – the angel – seems to come from another planet, that in fact her personality is a complete demonstration of Christian faith and charity: She endures even the most cruel attacks without defending herself; she cares for others, not for herself. It is her charity – being the only one giving bread to the – disguised as a beggar – prince’s tutor – that makes her to be chosen as the future queen. She performs what the old catechism classified as a Corporal Work of Mercy William Weaver writes. And so it is literally not her triumph and no triumph over others, when the story ends happily, but the triumph of “bontà”. Whether this aspect of the opera is reactionary or just reflecting a romantic vision of the „good“ sovereign or has been a concession to the strongly influential ecclesiastical censorship isn’t really important, but it is defining Angelina’s personality completely. I share Richard Osborne judgement of Angelina being truly human.

So the real challenge in interpreting Angelina and what makes this role more difficult to perform than Rosina or Isabella is to find a way in order to remain the innocent, romantic and maybe even a little naïve girl, and not to change her character by being affected by all the fun that is going on around her. One also may not overlook that Angelina is going through a transformation – in the true spirit of the opera seria – from a servant to the queen. So she already from the start has to demonstrate her royal, god-given, superiority. And yet, she will remain a servant, not longer to Don Magnifico and her step-sisters of course, but to her people.

This characterisation of her personality is also reflected in the music Rossini is giving her. She starts with a simple melody, a folk song. Later, though being the centre of the opera, she is musically staying rather in the background, she is never soloist but always partner to others. Rossini designed her musically in a more, gentle, quiet and reserved way, creating by this even more effect as Mozart so often did. Not before she has become the new queen she receives the corresponding music. And Philip Gossett considers this final Cavantina also as the music we normally associate with the world of Rossini’s serious operas, with Elisabetta, regina d’Inghliterra or La donna del lago.

I was very lucky to have sung my first Angelina at the Rossini Opera Festival’s first staging of La Cenerentola in 1998 in the elegant production of Luca Ronconi and under Carlo Rizzi. And not to forget with Juan Diego Flórez and Alessandro Corbelli, certainly the best Ramiros and Dandinis of our time.

October 2002 / Vesselina Kasarova

Don Carlo – Oper von Giuseppe Verdi

Don Carlo - Fünfaktige Fassung von Modena (26. Dezember 1886)

Rollenspektrum der Principessa d'Eboli

Die Eboligilt als eine der schönsten und anspruchsvollsten Rollen Verdis für Mezzosoprane. In Schillers dramatischem Gedicht ist die Eboli „nur" eine der Nebenfiguren, Verdi macht sie in seiner Oper aber zu einer wichtigen Hauptrolle, auch wenn sie natürlich neben der Elisabetta den Platz der seconda donnaeinnimmt.

Die Rolle ist musikalisch gesehen sehr schwierig, denn sie verlangt zum einen eine enorme Tessitura (die Eboli braucht die Höhe eines Soprans wie auch die Tiefe eines echten Mezzosoprans), zum anderen im Ausdruck sowohl Lyrik (zweiter Akt) als auch Dramatik (dritter und vierter Akt) erfordert. Die musikalische Vielseitigkeit der Rolle ist dadurch bedingt, dass die Eboli in ihrer Musik drei Seiten ihres Charakters zu transportieren hat: die Verliebte (das lyrisch - und erotisch - gehaltene Schleierlied Canzone del veloim zweiten Teil des zweiten Aktes), die zutiefst Verletzte und Rache Schwörende (das dramatische Terzett A mezzanotte ai giardin della Reginaim ersten Teil des dritten Aktes) und zuletzt die echte Reue Empfindende und Wiedergutmachung Schwörende (die Arie O don fataleim ersten Teil des vierten Aktes). Das Besondere wiederum an Ebolis dramatischer Seite ist, dass sich die Dramatik im Terzett mehr und mehr steigert, um dann in der Arie zu kulminieren.

Der Charakter der Eboli ist in Verdis Oper vielschichtiger, als er auf den ersten Blick den Anschein macht. Sie ist nicht wirklich Gegenspielerin oder Rivalin von Elisabetta, die Umstände machen sie dazu. Sie ist nicht einfach Intrigantin, ihr Schmerz über die Zurückweisung durch Don Carlo lassen sie zur Intrige greifen. Blind vor Zorn will sie sowohl Don Carlo als auch Elisabetta vernichten. Als sie aber wieder zu sich kommt und erkennt, was sie angerichtet hat, offenbart sie ihre „zwei Verbrechen" (Pietà! Perdon per la rea che si penteim ersten Teil, zweite Szene des vierten Aktes) und befreit Don Carlo im zweiten Teil des vierten Aktes (Aufstand des Volkes).

Entsprechend ist die Rolle der Eboli auch darstellerisch eine echte Herausforderung. Sie ist eigentlich die einzige Figur, die eine echte Entwicklung durchmacht und dies wie auch ihr vielschichtiger Charakter müssen auf konzentriertem Raum dargestellt werden. Die eigentliche Intrige wie auch der Betrug mit Philipp II. sind beispielsweise nicht Gegenstand der Handlung, von ihnen erzählt sie indirekt, wenn sie sich gegenüber Elisabetta offenbart. Deshalb muss dies mehr aus der Musik heraus entwickelt und kann weniger aus der Handlung heraus entwickelt werden.

Das Faszinierende an dieser Rolle ist schliesslich auch ihre grundsätzliche Disposition im Verbund mit den anderen Figuren. Eine ähnlich gewaltige Konstellation habe ich bis jetzt eigentlich nur bei Mozart, insbesondere bei La clemenza di Titoerlebt.

Die Eboli ist nicht alleinige Verursacherin der Tragödie, alle führen sie herbei - selbst Don Carlo und Elisabetta! Und wie allen anderen auch widerfährt auch ihr eine eigene persönliche Tragödie.

Während Posa und der Grosse Inquisitor für die politische Konfliktsituation stehen, stehen sie und Elisabetta für den Konflikt im Privaten. Posa ist Freund Don Carlos, Eboli Freundin, Vertraute der Elisabetta. Posa ist gezeichnet durch seine Leidenschaft für die Politik, während Eboli von Leidenschaft für die Liebe getrieben wird.

Am wichtigsten aber ist natürlich, dass es sich bei Elisabetta und Eboli nicht um Gegenspielerinnen, um Rivalinnen handelt, sondern um Gegenbilder, Antipodinnen.

Denn während Elisabetta pflichtbewusst, selbstlos, beherrscht, gefangen und passiv ist, ist Eboli genau das Gegenteil: eigensinnig, fordernd, leidenschaftlich und impulsiv, frei und aktiv (im Bösen wie im Guten).

Elisabetta ist äusserlich und innerlich gefangen, ihr Handeln ist geprägt durch Verzicht oder Schutz (als sie zu Unrecht beschuldigt wird), Eboli dagegen ist vollkommen frei, sie kämpft erst für und später gegen ihre Liebe, schliesslich fügt auch sie sich und verzichtet auf alles. Mit anderen Worten: Elisabetta fügt sich passiv ihrem Schicksal, Eboli dagegen nimmt - immer - ihr Schicksal in die eigene Hand. Und dies bedingungslos, egal was es erfordert, sei es eine Aufforderung (Brief an Don Carlo), seien es Verbrechen (Diebstahl von Elisabettas Schatulle, Lüge und Intrige), Betrug (Verhältnis mit Philipp II.), Tragen der Konsequenzen durch ihr Schuldeingeständnis gegenüber Elisabetta (Gang ins Kloster oder ins Exil) und Entfachen eines Volksaufstandes zur Rettung Don Carlos.

Elisabetta und Eboli verkörpern also zwei gegenteilige Frauentypen und dies im Extrem. Deshalb werden beide Opfer ihrer Charaktere und der Umstände.

Isoliert aus der Sicht von Eboli betrachtet, ist aber nicht nur ihr Charakter (einer der) Auslöser der Tragödie, sondern es sind auch die Umstände, die erst das Drama ermöglichen.

Wären nämlich Don Carlo und Elisabetta von Anfang an ehrlich gegenüber Philipp II. gewesen (also auch sich selbst gegenüber!), hätte die Geschichte einen ganz anderen Verlauf genommen.

Die Principessa d'Eboli ist nicht nur erste der Hofdamen Elisabettas, sie ist eine mächtige Frau am Hofe Spaniens. Sie muss also von der erst geplanten Verlobung Don Carlos mit Elisabetta aus politischen Gründen (!) wissen, sie kann aber nicht davon gewusst haben, dass sich beide dann wirklich ineinander verlieben.

Die Geschichte spielt zudem in einer Zeit, in der die Heirat in der Aristokratie standesgemäss und deshalb selten aus Liebe erfolgt, ja mit ihr sogar Machtpolitik betrieben wird. Da Don Carlo wieder „frei" ist, ist Eboli - „die schönstee und erste der Edeldamen Elisabettas" - die legitime Braut für ihn. Eine Heirat von Don Carlo und Eboli wäre die folgerichtige Verbindung für beide von ihnen!

Und Eboli liebt bereits! Wenn sie glaubt, auch Don Carlo empfinde für sie, besteht ihr Fehler darin, dass sie die Zeichen falsch deutet.

Die Tragödie kann später eigentlich auch nur ihren „vollen" Lauf nehmen, weil Elisabetta Eboli bittet, ihre Kleider zu tragen (damit sie sich kurz von den Hofdamen) entfernen kann. Nur deshalb erfährt Eboli, dass Don Carlo Elisabetta liebt. Ohne die Kleider Elisabettas hätte Don Carlo Eboli nur abzuweisen brauchen.

Ebolis Gefühlswelt ist echt und ehrlich, sie lebt sie voll aus. Sie äussert ihre Gefühle gegen aussen, seien es Liebe, Zorn und Rache oder Schmerz und Trauer.

Ist sie letztlich nicht humaner als alle anderen Figuren?

Vesselina Kasarova / März 2012

Regie

Das Produktionsteam einer Inszenierung, Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner, haben einen wesentlichen Einfluss auf die Wirkung eines Künstlers. In ihrer Abhängigkeit und jener des Dirigenten vollzieht sich die Interpretation eines Sängers, d.h., sie definieren den Möglichkeitsraum, in welchem dieser seine Rolle gestalten kann. In ihrer Abhängigkeit und jener des Dirigenten vollzieht sich die Interpretation eines Sängers, d.h., sie definieren den Möglichkeitsraum, in welchem dieser seine Rolle gestalten kann.

Ich habe grosses Glück gehabt, dass ich mit den besten Vertretern ihres Faches in der Vergangenheit arbeiten durfte: Ursel und Karl-Ernst Herrmann, Jonathan Miller, Andrei Serban, Grischa Asagaroff, Patrice Chéreau, La Fura dels Baus, Marco Arturo Marelli, Gian Carlo del Monaco, August Everding, Tony Palmer, Robert Carsen, Michael Hampe, John Copley, Helmut Lohner, Jürgen Flimm, Claus Helmut Drese, John Dew, Hans Neuenfels.

Wenn ich mit den Proben zu einer neuen Produktion beginne, so habe ich schon vorher immer ein eigenes Bild der Interpretation meiner Rolle gemacht. Das heisst aber nicht, das ich mich der Regie verschliesse. Ich bin im Gegenteil sehr offen für die Ansichten und Anweisungen des Regisseurs, denn davon kann ich nur profitieren. Gibt es für mich neue Aspekte einer Rolle, an die ich vorher gar nicht gedacht habe? Oder werden diese in anderer Weise gewichtet? Wie ist die Rolle im Gesamtkontext positioniert? Die eigene Darstellung ist ja zudem auch nur im Zusammenspiel mit den Partnern möglich, da man nur ein Teil eines Ensembles ist. Deshalb wäre es ein Fehler, nur mit dem eigenen Blickwinkel zu arbeiten und stur an diesem festzuhalten.

Das bedeutet aber auch, dass bei einer Beurteilung einer künstlerischen Leistung dieser Rahmen berücksichtigt werden muss. Vom Produktionsteam wird also ein Charakterbild einer Partie in einer Art vorgegeben, weshalb man strenggenommen nur urteilen kann, wie gut dieses vom Darsteller ausgefüllt wird.

Die Oper und das Theater erzählen nicht einfach Geschichten wie ein Buch, oder geben eine Geschichte wieder wie der Film, Oper und Theater lassen eine Geschichte geschehen, lebendig werden. Dies ist aber auch der Grund, weshalb in der Oper die Darstellung nicht eingeschränkt werden darf. Oper ist sui generis Musiktheater.

Diesem Aspekt wird heute verglichen mit der jüngeren Vergangenheit viel mehr Bedeutung zugewiesen. Daran gibt es nichts zu kritisieren. „Theater" wird nur dann zum Problem, wenn sie gegen die Musik gerichtet ist und diese behindert.

Ob man vor hundert, zweihundert Jahren mehr oder weniger statisch die Opern aufführte ist auch nicht ausschlaggebend. Die Komponisten arbeiteten nicht nur mit den Mitteln ihrer Zeit sondern auch in deren generellem Kontext. Heute, wo nicht mehr Bilder, sondern Bilderfluten uns ständig umgeben, wo Bildwechsel innerhalb von Sekunden geschaltet werden, um Lebendigkeit zu erzeugen, darf sich die Oper auch nicht durch zu viel Statik unterscheiden, wenn sie mithalten und aktuell bleiben will. Das bedeutet nicht, den gleichen Fehler zu begehen, und maximale Aktion auf die Oper übertragen zu wollen. Wählt man aber die richtige Dosierung von Darstellung und Theater, kann sich die Oper behaupten und gleichzeitig einen wohltuenden Kontrast zur hektischen Realität bilden. Damit kann die Oper sogar heute noch eine weitere gesellschaftspolische Aussage transportieren, da sie eine Art von Wirklichkeit schafft, die einen Gegenpol zur realen bildet.

An dieser Stelle muss vielleicht noch einmal darauf hingewiesen werden, dass Singen immer ein körperlicher Prozess ist. Verbietet man dem Sänger jedigliche körperliche Regung, so ist dies gegen die Natur des Singens gerichtet. Damit verliert aber auch die Interpretation ihre Natürlichkeit, was auf Kosten der Musik geht. Es versteht sich natürlich von selbst, dass „Theater" nicht bis zum Exzess betrieben wird, sondern dass ein Sänger seine Darstellung immer auch dosiert.

Die Ansprüche eines Sängers an eine moderne Regie sind auch spezifische. Die Intensität, die ein Schauspieler seiner Darstellung geben kann, ist vom Sänger nicht erreichbar, da das Singen eine zusätzliche Komponente gegenüber dem Sprechen aufweist. Der Sänger ist in ein strengeres System eingebunden als der Schauspieler. Denn auch dieser wird nicht nur Worte von sich geben, sondern versuchen, mit Dynamik, Farben und Ausdruck diese zu gestalten, ihnen Sinn zu geben. Der Schauspieler verfügt aber über mehr Freiheiten, da er zeitunabhängig und selbständig gestalten kann, sei es, dass er das Tempo ändert, oder Pausen setzt. Der Sänger dagegen kann dies nur in Abhängigkeit oder in Absprache mit der Musik tun. Damit werden aber die Möglichkeiten der Darstellung eingegrenzt.

Heute ist es auch schon fast zum Problem geworden, dass „kurze Soprane", welche Mezzorollen singen, die Auffassung des Publikums prägen. Ein Sopran, der wegen der viel grösseren Konkurrenz in seinem Fach oder weil es bequemer ist Mezzo-Partien singt, verfügt normalerweise nicht über eine natürliche und ausgeprägte Tiefe wie ein richtiger Mezzosopran. Wird diese Lage in einer Partie aber verlangt, wird sie nicht richtig wiedergegeben. Wenn sich das Publikum an solche Interpretationen gewöhnt hat, folgt, und dies passiert immer öfter, dass richtigen Mezzos vorgeworfen wird, sie würden die Tiefe drücken oder gar einen Registerbruch aufweisen. Das bedeutet nicht, dass ein Sopran keine Mezzorollen singen darf, da diese Unterscheidung sowieso sehr schwierig ist.

Wählt ein Produktionsteam das Mittel der Verfremdung, ist es naheliegend, dass die Inszenierung auf Ablehnung stösst. Ich finde, dass es falsch ist, a priori so zu reagieren. Denn ein solcher Ansatz kann sehr oft zur Folge haben, dass ein uneingeschränkter Blick auf die Musik erst möglich wird, während eine traditionelle Umsetzung so vertraut erscheint, dass sie nur mehr unterhaltet.

Man beachtet oft nicht, dass ein guter Regisseur bei einer Wiederaufnahme einer Produktion mit einer neuen Besetzung, sich nicht einfach an eine Reproduktion des vorher Erarbeiteten beschränkt, sondern die Persönlichkeiten der neu Mitwirkenden berücksichtigt und damit eine „neue" Produktion schafft.

Vesselina Kasarova / 2001